Graduate School

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Perfekte Performanz: Geschlechter- und körperhistorische Perspektiven auf das Frauenkunstturnen in der Schweiz 1949-1985.

Projektleitung

Yvonne Schüpbach

Abstract

Aktualität und Forschungslücke

Die «Magglingen-Protokolle»[1] haben 2020 zu einem gesellschaftlichen Aufschrei über die Missstände im Schweizerischen Frauenkunstturnen geführt und die damit verknüpften Körperbilder und Geschlechternormen in den Fokus gerückt. Augenfällig ist dabei, dass die Geschichte des Frauenkunstturnens in der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts historisch bislang eine terra incognita darstellt, was angesichts der anschlussfähigen internationalen Forschung umso mehr erstaunt. Das vorliegende Dissertationsprojekt erforscht erstmals die Geschichte des Frauenkunstturnens in der Schweiz aus einer geschlechter- und körperhistorischen Perspektive zwischen 1949 und 1985. Das Projekt geht von der richtungsgebenden Prämisse aus, dass im Sport als Spiegel gesellschaftlicher Ordnung Geschlechterarrangements und -normen sichtbar und deshalb erforschbar werden.[2] Sport spiegelt jedoch nicht nur die gesellschaftliche Ordnung, sondern ist auch selbst als Ort der (Re)produktion von Geschlecht und vergeschlechtlichten Körpern zu verstehen.[3]

Fragestellungen

Das Projekt untersucht die folgenden Fragestellungen:

(1) Wie entwickelte sich das Frauenkunstturnen in der Schweiz zwischen 1949 und 1985 (institutionell, organisatorisch, sporttechnisch und personell)? Welche (inter)nationalen Geschehnisse haben Einfluss auf diese Entwicklungen?

(2) Wie wird Geschlecht in der Vereinsgeschichte der Schweizer Frauenkunstturninstitutionen wirksam und welche Veränderungen sind feststellbar?

(3) Wie werden Geschlecht, Geschlechterbinarität[4] und vergeschlechtlichte Körper[5] im Frauenkunstturnen (re)produziert und wie verändern sie sich?

Zielsetzung

Das Projekt zielt darauf ab, die naturalisierende[6] Herstellung von Geschlecht und vergeschlechtlichten Körpern als performativen Vorgang und die Bedeutungen von Sport zur Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung sichtbar zu machen, sowie die Entwicklung des Frauenkunstturnens in der Schweiz zu erforschen und in den (inter)nationalen sozial- und kulturhistorischen Kontext einzuordnen.

Quellenkorpus

Das Quellenkorpus besteht aus Text-, Bild- und Videoquellen aus verschiedenen Archiven und wird durch Oral History Interviews mit ehemaligen Akteur:innen im Schweizer Frauenkunstturnen ergänzt. Die Textquellen bestehen aus Briefen, Protokollen, Zeitungsartikeln, Verträgen u.v.m., die visuellen Quellen sind mehrheitlich Fotografien und einige Videoaufnahmen.

Methodik

Methodisch fusst das Projekt auf der kritischen historischen Hermeneutik, der historischen Bildanalyse (nach Marotzki/Stoetzer) und der Oral History.

 

 

[1] Gertsch, Christof; Krogerus, Mikael: Misshandlungen im Schweizer Sport – Wie Turnerinnen in Magglingen gebrochen werden, Tages-Anzeiger, 31.10.2020, <https://www.tagesanzeiger.ch/wie-turnerinnen-in-magglingen-gebrochen-werden-170525604713>, Stand: 18.01.2021..

[2] Meier, Marianne: «Muskeln und Grazie im Zweikampf: ‹Sport und Geschlecht›» im soziohistorischen und geschlechtertheoretischen Kontext, in: genderstudies, Zeitschrift des interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung IZFG (36), 2020, S. 2; Meier, Marianne: Über lesbische Heldinnen im Spitzensport, in: Rufli, Corinne; Meier, Marianne; Hofmann, Monika u. a. (Hg.): Vorbild und Vorurteil lesbische Spitzensportlerinnen erzählen, Baden Schweiz 2020, S. 11; Pfister, Gertrud; Hartmann-Tews, Ilse (Hg.): Sport and Women: Social Issues in International Perspective, London 2003 (International Society for Comparative Physical Education and Sport), S. 1; Pfister, Gertrud: Doing Sport ist Doing Gender, in: Arenen der Weiblichkeit. Frauen, Körper, Sport 31 (69), 2008, S. 20–23..

[3] Sporthistorikerin Gertrud Pfister pointiert: «Doing Sport ist immer auch Doing Gender». Pfister: Doing Sport ist Doing Gender, 2008, S. 23..

[4] Geschlechterbinarität bezeichnet das herrschende Prinzip der Zuordnung der Menschen zum entweder männlichen oder weiblichen Geschlecht.

[5] Im Begriff vergeschlechtlichte Körper wird deutlich, dass Körper stets in ihrer Geschlechtlichkeit und den damit verbundenen Werten und Normen gelesen werden. Siehe dazu: Combrink, Claudia: Körper, männlicher/weiblicher, in: Kroll, Renate (Hg.): Metzler-Lexikon gender studies, Geschlechterforschung Ansätze - Personen - Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 212–213; Braun, Anne-Kathrin: Body Politics, in: Kroll, Renate (Hg.): Metzler-Lexikon gender studies, Geschlechterforschung Ansätze - Personen - Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 43–44; Butler, Judith: Bodies that matter on the discursive limits of «sex», New York 1993.

[6] Unter Naturalisierung werden soziale Phänomene wie bspw. Geschlecht und Heterosexualität verstanden, welche als natürlich oder naturgegeben erscheinen, obwohl sie das Ergebnis eines gesellschaftlichen Normalisierungsprozesses sind. Siehe dazu: Fausto-Sterling, Anne: Sich mit Dualismen duellieren, in: Pasero, Ursula; Gottburgsen, Anja (Hg.): Wie natürlich ist Geschlecht? Gender und die Konstruktion von Natur und Technik, Wiesbaden 2002, S. 17–64; Villa, Paula-Irene: Soziale Konstruktion: Wie Geschlecht gemacht wird, in: Hark, Sabine: Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, Stuttgart 20072, S. 17–86.

Supervision

Prof. Dr. Silvia Berger Ziauddin Universität Bern
Prof. Dr. Christian Koller Universität Zürich

Disziplin

Geschichte